Grüne vs. CDU
Ein Jenaer Disput ohne Donnerschlag
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Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen) und CDU-Oppositionspolitiker Mario Voigt (CDU) diskutierten an der FSU gegen- und miteinander.
Jena. Eine nur bedingt günstige Konstellation für ein intensives Streitgespräch: Die beiden Kontrahenten stehen seit 2012 gleichberechtigt dem Förderverein des Institutes für Politikwissenschaften der FSU vor. An diesem Institut studierten Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen) und Mario Voigt (CDU) ab Mitte der 90er Jahre.
Vom Veranstalter direkt benannt: Realpolitische Perspektiven der Rot-Rot-Grünen Koalition mit dem ersten kommunistischen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik Deutschland an der Tête, konnten nach gut eineinhalb Monaten Regierungsarbeit nur bedingt abgehandelt werden. Zumal die neue Landtagsmehrheit, hinter der am 25. September 2014 gerade einmal 25 Prozent der Thüringer Wahlberechtigten standen, den CDU-SPD-Haushaltsentwurf für 2015 weitgehend übernommen hatte. Neben den beiden Politikern hatten die FSU-Professoren Nils Berkemeyer (Pädagogik) und Torsten Oppelland (Politikwissenschaft) im Podium Platz genommen.
Dennoch fand das erste der diesjährigen "Jenaer Gespräche zur politischen Bildung" in einem überfüllten Hörsaal 5 auf dem Uni-Campus statt.
Nahezu ausschließlich Studenten wollten live erfahren, was die zum Berufspolitiker mutierten ehemaligen Jenaer Studenten mit- und gegeneinander auszuteilen wussten. Siegesmund und Voigt zogen 2009 in den Landtag ein.
Voigt, Direktmandatsinhaber des Wahlkreises 36 im Saale-Holzland-Kreis und seit 2014 stellv. CDU-Landesvorsitzender, musste zum Jahresende in die Opposition absteigen. Siegesmund dagegen wechselte gar von der Oppositions- auf die Regierungsbank und ist Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz.
Der gewollt-ungewollte Rollenwechsel spielte in der vom Redakteur der Thüringer Allgemeinen, Martin Debes, moderierten Diskussion natürlich eine Rolle. Vorgeblich begangene und neu eingeleitete Versäumnisse wurden von beiden Seiten benannt. Kleinere Spitzen bleiben nicht aus. Wenn also der Schwarze monierte, im Koalitionsvertrag fehle der Begriff "Gesamtschule", konnte die Grüne aus dem mitgebrachten Koalitionsvertrag, Seite 47, zitieren: "Die Thüringer Gesamtschule wird weiter ausgebaut" und an Kollegen Voigt die süffisante Einladung aussprechen: "Wir können gern mal eine gemeinsame Lesestunde veranstalten."
Unüberbrückbare Differenzen wurden beim Thema Inklusion offenkundig. Voigt bleibt weiter ein "Gegner der absoluten Inklusion" und verwies auf Eltern von behinderten Kindern, die selbst ein gemeinsames Lernen mit nicht-behinderten Kindern ablehnen würden. Beide Politiker waren sich wiederum in der Einschätzung einig, in der vergangenen Legislaturperiode sei viel zu sehr über Strukturen statt über Inhalte geredet worden. Diese vom Bildungsexperten Berkemeyer massiv bekräftigte Kritik ("Das Unterstützungssystem für Inklusion ist haltlos überfordert.") richtete sich an die Adresse des damaligen SPD-Kultusministers Christoph Matschie.
Einigkeit herrschte in der Diagnose der landesweit disproportionalen Ausstattung von Lehrern mit bestimmten Fächerkombinationen. Wo doch, so Siegesmund, "Bildung die Ressource ist, die Thüringen hat." Offen sprach die Grüne das Problem der beruflichen Perspektive der zukünftigen Lehrer an. "Eine Verbeamtung bringt dem Lehrer zwar eine Sicherheit. Aber es liegt viel zu wenig Geld im Pensionsfonds." Immerhin würden von den knapp 50.000 Landesbediensteten 20.000 Lehrer sein.
Fragen aus dem Publikum waren erwünscht. Warum gibt es an der FSU keine Professur für die Aufarbeitung der SED-Diktatur? Antwort Siegesmund: "Wir können uns nicht in die Autonomie der Universität einmischen." Man müsse nun schauen, welche Möglichkeiten sich bieten würden. Der wörtlich formulierte Auftrag an die Koalition, sich für eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte einzusetzen, sei eine der Linien in den Koalitionsverhandlungen gewesen, die die Grünen nicht überschritten hätten.
"Wird die CDU in der Opposition eine totale Blockadepolitik betreiben?", wollte ein Bürger wissen. Darauf Voigt: "Die Mehrheit für Rot-Rot-Grün muss die Koalition selber organisieren. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass diese Koalition bei der nächsten Wahl ihre Mehrheit verliert. "Eine "destruktive" Politik sei damit aber nicht verbunden. Er sei einst ein "Vorreiter eines schwarz-grünen Bündnisses" gewesen. "Heute sehe ich das differenzierter", ließ Voigt subtil formuliert seinen Gesinnungswechsel erkennen.
Politikwissenschaftler Oppelland mochte gegenwärtig keine Bruchstellen in der neuen Koalition erkennen: "Das Bedürfnis zum gemeinsamen Regieren ist sehr groß, die Stabilität nicht unmittelbar gefährdet".
Text: Andreas Wentzel