Mitarbeitern reichts!
Streik in Jena: Frust beim Nahverkehr
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Streik beim Nahverkehr: Den Bus- und Straßenbahnfahrern in Jena reichts. Heute stellten sie ihre Fahrzeuge ab, um sich Gehör zu verschaffen.
Jena. Bundesweit sind heute rund 87.000 Beschäftigte im ÖPNV aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Auch Jena ist davon nicht ausgeschlossen. Alle Bus- und Straßenbahnlinien sowie der komplette Schülerverkehr fallen aus.
Etwa 150 Bus- und Straßenbahnfahrer aus Jena sowie 50 Weitere aus Werkstätten und anderen Teilbereichen des ÖPNV beteiligten sich am Streik.
Mit dabei ist auch Thomas Kühn, Betriebsratsvorsitzender der Jenaer Nahverkehr GmbH, der heute jedoch betont, in erster Linie neben seinen Kollegen zu streiken.
Ihm zufolge geht es bei dem Protest nicht zwangsläufig nur um den von der Gewerkschaft ver.di geforderten Tarifvertrag für die Beschäftigten.
ÖPNV-Angestellte beklagen schlechte Arbeitsbedingungen
Vielmehr verschlechtern sich seit Jahren die Arbeitszustände. Mit dem heutigen Warnstreik wollen die Beschäftigten des ÖPNV zeigen, dass es ihnen reicht.
„Obwohl die Einstiegsgehälter derzeit nicht konkurrenzfähig sind, geht es uns nicht nur um Geld, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen, Entlastung und Anerkennung für unsere tägliche Arbeit“, so Kühn.
Der ÖPNV habe ein erhebliches Personalproblem. Fast ein Drittel der rund 340 Beschäftigten der Jenaer Nahverker GmbH werden in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen, Nachwuchs sei jedoch nicht ausreichend in Sicht, so Kühn.
Unattraktive Arbeitszeiten
Eine Ursache dafür könnte in den unattraktiven Arbeitszeiten liegen. Ein Angestellter, der nicht genannt werden wollte, erzählte uns, dass die Fahrer durch das geteilte Schichtensystem häufig morgens einige Stunden und nachmittags oder abends einige weitere Stunden fahren müssten.
Die Zeit dazwischen reiche aber kaum zur Erholung. Gerade Angestellte von außerhalb hängen dann häufig auf der Arbeitsstelle fest, weil sich eine Heimfahrt zeitlich nicht lohne.
Als Krönung des Ganzen sei die letzte Haltestelle der Mitarbeiter vor Feierabend und Übergabe mitunter eine andere als ihre Start-Haltestelle. Wie sie zum Startpunkt wieder zurückkämen, sei dann ihr Problem.
Viele Überstunden, wenig Erholung, wenig Schlaf und somit auch keine ausgeruhten Fahrer morgens im Bus. Die aber seien wichtig, da ihnen immer mehr Konzentration im Straßenverkehr abverlangt wird, sei es aufgrund der seit Jahren stark zunehmenden Zahl unbedachter Fußgänger mit Stöpseln in den Ohren, die Vielzahl der Handynutzer, Radfahrer oder immer mehr Baustellen.
Wenn die Fahrer für die Wut der Kunden herhalten müssen
Kühn fährt fort, dass sich die Fahrer zu allem Überfluss auch immer häufiger aggressiven Fahrgästen ausgesetzt sähen. Objektive Studien gibt es zwar nicht, aber tatsächlich mehrten sich in der Vergangenheit Berichte über Angriffe im Nahverkehr.
Besonders die Trivialität, woran sich die Täter mitunter ereifern (z. B. bei dem schlichten Hinweis auf die bestehende Maskenpflicht), ist erschreckend. Es scheint, als Straßenbahn- und insbesondere als Busfahrer braucht man heute Nerven aus Drahtseilen, um bei der offensichtlichen Verrohung der Gesellschaft die Ruhe zu bewahren.
Dass dieser Zustand nicht hinnehmbar ist, versteht sich von selbst. Es kann nicht sein, dass Fahrer für die Wut der Kunden herhalten müssen.
Damit der Beruf eines Bus- oder Straßenbahnfahrers auch für nachfolgende Generationen wieder attraktiv wird, müsse an diesen Arbeitsbedingungen zukünftig angesetzt werden, so Kühn. Neben der Gewährleistung finanzieller Wettbewerbsfähigkeit müsse also vor allem für Entlastung der Mitarbeiter gesorgt werden.
Bürgermeister bei den Streikenden
Jenas Bürgermeister Christian Gerlitz stellte sich den Streikenden heute vor Ort und sprach mit ihnen. Dabei zeigte er Verständnis für die Anliegen der Beschäftigten. Zugleich betonte er jedoch auch, dass der ÖPNV durch Ausfälle und Planänderungen während der Corona-Zeit viel Vertrauen in der Bevölkerung eingebüßt hätte.
Text: Johannes Pfuch