Skip to main content

Pop, Rock oder Klassik

Was der Musikgeschmack über uns verrät

Neue Studien legen eine Verbindung zwischen Musikgeschmack und persönlichem Charakter nahe.
Neue Studien legen eine Verbindung zwischen Musikgeschmack und persönlichem Charakter nahe.
Foto: Tim Reckmann/pixelio.de
Teilen auf

Sag mir, was du hörst, und ich sag dir, wie du bist: Dass Musikgeschmack und Persönlichkeitsmerkmale sehr viel miteinander zu tun haben, legen psychologische Studien von Forschern der University of Cambridge nahe.

Jena. Stereotypen werden heutzutage meist als negativ zu bewertende Verallgemeinerungen verstanden. Schließlich ist es selten eine gute Idee, alle über einen Kamm zu scheren und in kategorische Schubladen zu stecken. Zu viel Individualität einer Persönlichkeit bleibt dabei auf der Strecke.

Neuere Studien zum Thema scheinen manche Klischees aber zumindest in Sachen persönlicher Musikgeschmack zu rechtfertigen. Und das in erstaunlich positivem Sinne.

Zu Musikrichtungen und ihren Hörern kursieren bisweilen zahlreiche Klischees. Wer Pop oder Techno hört, ist demnach ein unverbesserlicher Partylöwe, Folklore-Liebhaber ausnahmslos Hippies, Kenner klassischer Musik intellektuelle Snobs und Metal-Fans beinharte Draufgänger.

Doch eines haben alle Genres gemeinsam: Musik tut uns gut. Doch was sagt die eigene Lieblingsmusik wirklich über den Charakter aus?



Zwei Wissenschaftler von der University of Cambridge haben hierzu Interessantes herausgefunden.

In ihren Studien zu Musikgenre Stereotypen stellten Peter Rentfrow und Samuel Gosling nämlich bereits 2007 fest, dass so manches Klischee zum persönlichen Musikgeschmack durchaus einen wahren Kern besitzt.

Sehr genaue Persönlichkeitsvorhersagen

Für ihre Forschung zur Verlässlichkeit musikalischer Stereotypen nahmen Rentfrow und Gosling die Hörer von insgesamt 14 Musikgenres genauer unter die Lupe. Von Klassik und Country über Pop und elektronische Musik bis hin zu Rock und Rap überprüften sie, inwieweit das genreeigene Klischee zur Fanpersönlichkeit mit der Realität übereinstimmt.



Ihr Ergebnis: Die Lieblingsmusik eines Menschen lässt erstaunlich genaue Aussagen über den Charakter des Hörers zu. Ob ein Mensch eher extrovertiert oder schüchtern ist, lässt sich laut Studienergebnissen ebenso gut am Musikgeschmack festmachen wie die persönliche Einstellung zur Politik, Religion, Bildung und Wertevorstellungen.

Du bist, was du hörst, ist also ein durchaus plausibles Statement zur Beurteilung einer Persönlichkeit.

Ein Persönlichkeitsprofil für jedes Genre

Eine weitere Studie aus Großbritannien befasste sich ebenfalls eingehender mit der Persönlichkeit von Musikhörern.

Unter der Leitung von Adrian North kam hier ein äußerst detailliertes Persönlichkeitsprofil für die Fans der jeweiligen Musikgenres zustande. Dabei gab es neben zahlreichen Belegen für einschlägige Klischees aber auch so manche Überraschung.

Country Musik - nicht nur akustisch der Tradition verpflichtet

Ob kollegialer Square Dance oder ländliches Idyll mit konservativer Note - Country Musik steht seit jeher für ein eher traditionell geprägtes Lebensgefühl, das urbane Trends der Moderne eher kritisch beäugt.



Laut Forschungsergebnissen ist die Country-Seele tatsächlich eher konservativen Werten zuzuordnen, denn North definierte die Persönlichkeit von Fans des Genres zwar als

  • emotional stabil und extrovertiert,
  • jedoch wenig experimentierfreudig
  • und seltener offen gegenüber unkonventionellen Denkansätzen.

Die gute alte Zeit wird im Country folglich überzeugt verteidigt. Das zeigt sich auch an einer vergleichsweise konservativen Instrumentierung.

Gerade Instrumente wie das Banjo oder Cajón als Inbegriff traditioneller Melodik bilden die Grundlage für das äußerst geschichtsträchtige Klangkonzept der Country Musik. Beide Instrumente haben ihren Ursprung in der Kolonialzeit, wobei speziell das Cajón von afrikanischen Sklaven erfunden wurde.



Die Wurzeln des Genres reichen somit von afroamerikanischen Work Shantys und Country-Gospel über Country-Blues und Bluegrass bis hin zum Country-Rock.

Trotz aller Konservativität und einem Hang zu schnulzigen Liedern über Heimat und Herzschmerz steht hinter Country Musik also eine äußerst bewegte Entstehungsgeschichte.

Pop, Dance, Hip-Hop und Rap - Die jungen Wilden

Wenngleich sich ihre Musikrichtungen mitunter stark unterscheiden, haben Pop-Fans, Hip-Hopper und Hörer von Dance Musik laut Forschungsergebnissen doch einiges gemeinsam. Denn sie alle sind eher

  • extrovertiert
  • gesellig
  • mit einer Extraportion Selbstbewusstsein ausgestattet
  • und feiern gerne

Außerdem zeigen sich Anhänger der genannten Genres in Studien weniger sensibel als manch andere Musikfans. Dass sich hier ein gewisser Dreiklang innerhalb der Persönlichkeitsprofile herauskristallisiert, mag für Musikkenner nichts Neues sein.

Denn bei Pop, Dance und Hip-Hop beziehungsweise Rap handelt es sich durch die Bank um sogenannte Jugendgenres. Sie sind im Vergleich zu vielen anderen Musikgenres relativ jung und ziehen dementsprechend ein jugendliches Publikum an, dessen Persönlichkeit vielfach noch unstet und wild ist.



Daneben wählt die Jugend natürlich auch immer wieder gerne den Exzess. Partys und eher schnelllebige Musiktrends stehen hier genauso hoch im Kurs wie ein reger Austausch mit Gleichaltrigen und das Austesten der eigenen Grenzen.

Das Lebensgefühl der jungen Rebellen wird durch schnelle Elektro-Rhythmen, provokativen Rap und relativ einfache, partytaugliche Klangkonzepte, wie sie für Pop-Musik typisch sind, am besten ausgedrückt.

Im Übrigen lässt sich dieser Tage auch eine zunehmende Verschmelzung dieser Genres beobachten, die in neuen Crossovers wie Trip-Hop oder Dance-Pop gipfelt.

Jazz und Klassische Musik - Die Intellektuellen

Hörer klassischer Musik werden gerne als Mitglieder der gehobenen Gesellschaft porträtiert. Mit Pfeife und einem guten Glas Wein in der Hand stellt man sie sich gerne vor, wie sie im großen Ohrensessel vor dem Kamin sitzen und dort hochphilosophisch ihrem liebsten Musikgenre frönen.



An diesem Image scheint auch etwas Wahres dran zu sein, denn aus der Studie von Adrian North gehen Liebhaber der Klassik, ebenso wie Jazz Fans, als

  • eher introvertiert
  • aber auch äußerst kreativ
  • selbstbewusst
  • und geistig aktiv

hervor. Häufig wird Klassikhörern außerdem ein besonders anspruchsvoller Geist zugeschrieben, der sich gerne mit komplexen Klangkonzepten befasst. Und Komplexität finden diese anspruchsvollen Hörer in klassischer Musik und Jazz zur Genüge.

Ganze Orchester und Ensembles bestehend aus episch hallenden Trompeten, Saiteninstrumenten wie Violinen, Kontrabass oder Harfe und dem klassischen Kultinstrument Klavier zaubern in beiden Genres einzigartige Klangwelten.

Diese lassen sich unumstritten als melodische Poesie beschreiben, bedürfen aber eines Hörers, der die vielen unterschiedlichen Klangelemente auch zu schätzen weiß.

Klassik ist zudem näher als mancher denken mag. Eine interessante Geschichte, die es hier zu erwähnen gilt, ist der dritte Platz der Jenaer Brassband BlechKLANG bei den „4barsrest Awards 2020“ in der Kategorie „Lower Section Band of the Year“.

Rock und Heavy Metal - Von wegen aggressiv

Es gibt im Übrigen ein Musikgenre, dessen Hörer mit Blick auf ihre Persönlichkeit den Jazz- und Klassikfans deutlich ähnlicher sind, als es zunächst den Anschein hat.



Während die Öffentlichkeit Hard Rocker und Heavy Metal Fans gerne als aggressiv und rüpelhaft stereotypisiert, sprechen wissenschaftliche Studien eine ganz andere Sprache.

Hier entpuppen sich die vermeintlichen Hardliner unter den Musikhörern nämlich als äußerst

  • sensibel
  • introvertiert
  • hart arbeitend
  • und teilweise mit sehr geringem Selbstbewusstsein ausgestattet

Der vergleichsweise extreme Musikgeschmack dieser Hörergemeinde steht also in klarem Kontrast zu ihrer Persönlichkeit.

Wer etwas genauer hinhört, der wird jedoch feststellen, dass sich unter all den harten E-Gitarren, E-Bässen und Schlagzeugrhythmen eine ähnlich anspruchsvolle Melodik verbirgt, wie es eigentlich für Klassik und Jazz typisch ist.

Zudem ist gerade Metal Musik häufig als Ausdruck extremer Emotionalität zu verstehen, die von den in sich gekehrten Hörern im Alltag oft nicht ausgelebt werden kann. Stille Wasser sind im Rock und Metal also nicht nur tief, sondern innerlich auch lauter als man denkt.

Der Soundtrack eines Lebens

Dass sich die Persönlichkeit eines Menschen so erschreckend genau am Musikgeschmack festmachen lässt, hängt nach Meinung von Musikwissenschaftlern einerseits mit dem assoziativen Denken der Personen zusammen.



Man identifiziert sich einfach leichter mit Musik, die einem buchstäblich aus der Seele spricht. Die eigenen Vorlieben in Sachen Musik sind also auch immer ein Spiegelbild des eigenen Empfindens.

Verwunderlich ist das nicht. Immerhin entstehen musikalische Präferenzen nicht von heute auf morgen. Vielmehr ist Lieblingsmusik ein lebenslanger Begleiter und der Musikgeschmack wie ein Nachschlagewerk, das sich parallel zum individuellen Werdegang einer Person im Laufe des Lebens entwickelt.

Persönliche Schicksale und Erlebnisse, besondere Orte, die man irgendwann einmal besucht hat - all das fließt in die Ausbildung des Musikgeschmacks mit ein.

Hinzu kommt eine gewisse Schichtabhängigkeit der musikalischen Vorlieben. Sie bringt den Musikgeschmack mit der sozialen Stellung eines Menschen und damit sehr spezifischen Lebensumständen in Verbindung.



Zwar brechen diese alten „Musikkasten“ in der Moderne immer mehr auf, doch spielen sie nach wie vor eine Rolle, wenn es darum geht, das eigene Lebensgefühl musikalisch auszudrücken.

Wie eng unsere Erinnerungen mit Musik verwoben sind, beweist auch eine Studie des University College London. Hier fanden Forscher heraus, dass vertraute Klänge binnen 300 Millisekunden vom Gehirn erkannt werden.

Unser Musikgeschmack ist demnach tief in unserem Bewusstsein verankert und hat einen sehr prägnanten Wiedererkennungswert. Der könnte laut Forschungsergebnissen selbst Alzheimer-Patienten im Rahmen einer Musiktherapie helfen, sich an wichtige Dinge aus der Vergangenheit zu erinnern.

Unser Musikgeschmack ist also nicht nur Ausdruck unserer Gefühle und Weltanschauungen, sondern ein Stück weit auch Leitfaden durch die Erinnerungen unserer Lebensbiografie.

Text: Susann Schmidt