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Abpfiff vor dem Anpfiff!

Jenaer Stadiondebatte muss in die Verlängerung

Die Debatte zum Ernst-Abbe-Sportfeld wurde vom Stadtrat zum zweiten Mal hintereinander verschoben. Sie soll nun auf einer Sondersitzung am 27. Mai geführt werden.
Die Debatte zum Ernst-Abbe-Sportfeld wurde vom Stadtrat zum zweiten Mal hintereinander verschoben. Sie soll nun auf einer Sondersitzung am 27. Mai geführt werden.
Foto: Thomas Paasch
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Der Jenaer Stadtrat hat zum zweiten Mal hintereinander die Debatte um das Ernst-Abbe-Sportfeld aus Zeitgründen nicht führen können. Und dafür eine zweite Sitzung am 27. Mai anberaumt.

Jena. Der MDR war gleich mit zwei Reportern vor Ort. Radio- und TV-Berichterstatter wollten direkt dabei sein, wenn sich Stadtverwaltung und Stadträte zur Tabellensituation Fußballstadion erklären würden. Die Besucherränge waren dicht gefüllt in der Rathausdiele.

Und da zur 11. Stadtratssitzung am 20. Mai das mittlerweile ganze Spielzeiten übergreifende Stadionthema statt auf Platz 21 (wie in der 10. Sitzung) an 13. Stelle in der vorläufigen Tagesordnung aufgeführt war, schien die realistische Chance gegeben, diese Debatte in der Verlängerung nun endlich auszutragen.

Falsch gewettet. Das Spiel um den Spielort wurde erneut ins Abseits gestellt. OB Albrecht Schröter (SPD), der sich bislang außerstande sieht, coram publico seine radikale Neuaufstellung „Sanierung im Bestand“ (statt Umbau in eine reine Fußballarena) zu erläutern, nahm das Sitzungsergebnis mit seinem verbalen Einwurf um 21.13 Uhr vorweg: “Wir schaffen das Stadion nicht mehr heute.“

Nicht einmal der Antrag der Linken, die umstrittenen Kürzungen in der Jugendsozialarbeit noch vor dem Stadionthema auf der Tagesordnung zu platzieren, trug Schuld daran. Was wird aus der zentralen Feuerwache nach dem Umzug in den gegenüberliegenden Neubau oder die brisante Frage, wieso die Fußgängerampel an der Hautklinik in der Erfurter Straße am Wochenende abgeschaltet bleibt, nahmen in den Bürger- und Fragestunden die ihnen gebührende Zeit in Anspruch.

Wichtig natürlich auch die Frage, ob Jena wegen des Kita-Streiks Gebühren an die Eltern zurückzahlen wird. Ja, erklärte Sozialdezernent Frank Schenker (CDU), anteilig und wenn mehr als elf Streiktage anfallen. Keine Schonung legten sich die Abgeordneten bei der Großen Anfrage „Nutzen des Verkehrsverbundes Mittelthüringen für Stadt und Bürger“ auf. Da wurde mit äußerster Hingabe gespurtet, geflankt und abgegrätscht. 

Dann ertönte der Pfiff zur Halbzeit und nach dem ausgiebig genossenen Pausenkaffee ab 20.40 Uhr stand die von der CDU-SPD-Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte neue Kita-Gebührensatzung an. Ein Schlüsselspiel, schließlich sind mit 5.000 Kita-Kindern doppelt so viele Betroffene involviert wie bei einem Heimspiel des FC Carl Zeiss Jena mit 2.500 Zuschauern. Die von Lothar König (Bürger für Jena) geforderte Redezeitbegrenzung auf drei Minuten für Alle fand keine Mehrheit. Die von der Linken Martina Flämmich-Winckler geforderte und von den parlamentarischen Mitspielern bestätigte Einwechslung des Stadtelternbeirates brachte einen zusätzlichen Akteur aufs Debattenfeld. Doch auch diese Personalie erzielte kein anderes als das von der Koalition favorisierte Resultat.

Andreas Wiese (FDP- und FCC-Präsidiumsmitglied) schließlich, unter den Abgeordneten der wahrscheinlich größte Fan einer großen Fußballarena, initiierte 22.10 Uhr eine Auszeit. Der Hauptausschuss (Stadtführung plus Fraktionsvertreter) sollte ganz schnell klären, ob nicht die an diesem 20. Mai ja neu anberaumte Stadiondebatte in die erneute Verlängerung gehen müsste.

So sieht der neue Plan der Jenaer Stadtführung für eine "Sanierung im Bestand" des Ernst-Abbe-Sportfeldes aus. Quelle: KIJ

Jetzt wurde es lustig in der Volksvertreterarena. Jenas hauptamtlicher Spielführer eröffnete den Bericht über das Geschehen in der Auszeit mit, wie er sicher meinte, dem Thema angemessenen humorigen Worten. „Wir diskutieren jetzt zwei Stunden den Jugendförderplan und dann vier Stunden das Stadion.“ Ehe auf den Abgeordnetenbänken die „Schröter raus“-Rufe ausbrechen konnten, tat Schröter kund, dies sei ein Scherz gewesen (Wo jeder seit  dem Liverpooler Trainer Bill Shankley weiß, beim Fußball geht um sehr viel Ernsteres als bloß um Leben und Tod). Also, lautete der Vorschlag des HA, der Stadtrat wird eine Zusatzsitzung der 11. Sitzung ansetzen, am 27. Mai, Beginn 17 Uhr.

Prompt folgte der Konter der Linken. Katharina König sprach sich vehement gegen die Uhrzeit aus. Denn, so ihre Begründung, die Landtagsabgeordneten des Stadtrates (das betrifft nur sie selbst und ihre Genossin Gudrun Lukin von 46 Stadträten) könnten aufgrund der am selben Tag stattfindenden Tagung des Landesparlamentes in Erfurt nicht pünktlich in Jena zur Verlängerung auflaufen.

Verbale Rudelbildung. 17 oder doch erst 18 Uhr, ein Politikum, die gestresste Abgeordnetenseele kochte hoch. Schlussendlich wurde 17 Uhr bestätigt und zusätzlich mit der nach Geschäftsordnung geforderten Zweidrittelmehrheit die ursprüngliche Ansetzung – Stadion- vor Jugendförderplandebatte – wird wieder in Kraft gesetzt.

Die Verlängerung findet also ihr Nachspiel. Nach der Sitzung ist vor dem Nachsitzen. Die Stadtratsgäste, die ihre Abgeordneten zum Stadion und zur  Jugendarbeit agieren sehen wollten, durften ohne Spielergebnis den Heimweg antreten.

Vox populi hatte sich wie in Jena gewohnt wortreich, mit taktischer Finesse und Durchschlagskraft, ausgesprochen und die gelebte Demokratie ihre Funktionstüchtigkeit unter Beweis gestellt. Die Stadtratstabelle, sie lügt nicht.

Text: Andreas Wentzel