Uniklinikum Jena
Lese-Rechtschreibstörung: Sie kann behandelt werden
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So früh wie möglich fördern: Studie am Uniklinikum Jena untersucht Therapie-Effekte bei Lese-Rechtschreibstörung.
Jena. Im Schreibheft wimmelt es von teils kuriosen Rechtschreibfehlern. Einen einfachen Text zu lesen, wird zur scheinbar unüberwindlichen Hürde. Eine Lese-Rechtschreibstörung erschwert nicht nur den Schulalltag.
Betroffene Kinder und Jugendliche haben bis ins Erwachsenenalter große Schwierigkeiten, Wörter orthografisch richtig zu schreiben und sich Textinhalte durchs Lesen zu erarbeiten. Dass die Störung kein Zeichen eingeschränkter Begabung ist, hat sich inzwischen auch außerhalb der Fachwelt herumgesprochen.
Und: Sie kann behandelt werden. „Je früher, desto besser“, sagt Dr. Carolin Ligges vom UKJ. „Denn verfestigt sich die Störung, steigt das Risiko für psychosomatische Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen oder gravierende Versagensängste.“
Die Psychologin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, die seit vielen Jahren dazu forscht, hat in einer Ende 2018 beendeten Studie den Effekt einer gezielten Therapie bei betroffenen Zweit- und Drittklässlern untersucht.
Dafür durchliefen 25 Kinder neun Monate lang einmal wöchentlich über 90 Minuten ein spezielles Training. Das in der Nachhilfe-Praxis bereits etablierte Verfahren vermittelt den Kindern verschiedene Lese-Rechtschreibstrategien wie Silbentraining und genaues Mitsprechen.
Grund: Kinder mit einer Lese-Rechtschreibstörung haben häufig Schwierigkeiten, Buchstaben bestimmten Sprachlauten zuzuordnen und Silben entsprechend zusammenzufügen – beim Schreiben wie auch beim Lesen. Unter anderem sollen Lautgebärden und Lautbilder ihnen bei der Zuordnung helfen.
„Eine Rose symbolisiert zum Beispiel den Buchstaben R, ein Esel das E“, erläutert die Psychologin. Während der Therapie wurde darauf geachtet, dass die Kinder die Worte sehr genau artikulieren und keine Buchstaben oder Silben verschlucken.
Begleitet wurde das Training durch Untersuchungen der Hirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG). „Wir haben geschaut, was sich etwa bei der Laut- und Buchstabenzuordnung im Gehirn der Kinder tut. Lesen erfordert das reibungsfreie Zusammenarbeiten verschiedener Hirnareale im Rahmen eines Lesenetzwerkes“, so Dr. Ligges.
Die EEG-Werte wurden mit denen einer Kontrollgruppe von Kindern ohne Lese-Rechtschreibstörung verglichen. Im Ergebnis des Trainings sei eine deutliche Verbesserung sowohl der Lese- als auch der Rechtschreibleistungen zu verzeichnen gewesen, so die Studienleiterin.
So habe sich beim Lesen die durchschnittliche Fehlerquote – also der Anteil falsch gelesener Wörter in einem Text – nach der Therapie halbiert. Auch bei der Orthografie seien Verbesserungen nachweisbar. Allerdings blieben weiterhin Unterschiede zu den Leistungen von Nichtbetroffenen. „Auffällig war, dass die jüngeren Kinder stärker profitierten als die älteren“, sagt Dr. Ligges.
Abhängig war der Erfolg zudem davon, ob die Kinder neben der Lese-Rechtschreibstörung mit weiteren Einschränkungen und Problemen kämpften, etwa einer Angststörung, depressiven Symptomen, einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Schulverweigerung.
So früh wie möglich fördern
Die Schlussfolgerung für die Expertin: „Eine besondere Förderung der Kinder sollte so früh wie möglich einsetzen – also schon möglichst in der ersten Klasse – und ist jahrelang erforderlich.“ Die Schulen seien gefordert, frühe Anzeichen für die Störung zu erkennen und zu handeln. Das setze entsprechendes pädagogisches Wissen voraus.
„Grundschullehrer müssen in der Lage sein, das Defizit und den individuellen Förderbedarf richtig einzuschätzen.“ Wichtig sei dann der Einsatz von Lernmethoden, welche den Zusammenhang zwischen Buchstaben und zugehörigen Lauten, die Verbindung von Silben, Wortstamm und Endung sowie Strategien zum Erwerb und Einsatz orthografischer Regeln vermitteln.
Hingegen sei „Lesen durch Schreiben“ – auch als „Schreiben nach Gehör“ bekannt – ungeeignet. „Das verschärft das Problem, weil Betroffene aufgrund ihres Defizits bei der Sprachlautverarbeitung mit dieser Methode nicht umgehen können.“
Aufgabe der Bildungspolitik wiederum sei es, für entsprechende personelle Ressourcen, sprich: zusätzliche Förderlehrer, an den Schulen zu sorgen.
Auch im Gesundheitswesen muss nachgebessert werden: Obwohl offiziell als medizinische Diagnose anerkannt, werden die Kosten für Diagnostik und Therapie der Lese-Rechtschreibstörung bisher nicht übernommen.
Dabei könne dies ganz wesentlich dazu beitragen, die gravierenden Folgen für die berufliche Ausbildung und das psychische Wohlergehen der Betroffenen zu verbessern.
Text: Anke Schleenvoigt/UKJ